Niklas Franzen: Brasilien über alles. Bolsonaro und die rechte Revolte

Der sympathische Verlag Assoziation A hat ein weiteres Buch zu Lateinamerika veröffentlicht: Franzen, Niklas: „Brasilien über alles. Bolsonaro und die rechte Revolte

Der taz- und nd-Autor Niklas Franzen hat mehrere Jahre in Brasilien gelebt und beschreibt profunde die ökonomischen, politischen und sozialen Verhältnisse in diesem sehr widersprüchlichen Land. Zeitlicher Schwerpunkt ist die erste Präsidentschaft des rechtsradikalen Jair Bolsonaro.

 

Wer stützt Bolsanaro?

Franzen beschreibt überzeugend, welche gesellschaftlichen Kreise diesen Präsidenten stützen, wie er es schaffen konnte, die Wahlen 2108 zu gewinnen und wie er sich seitdem an der Macht hält – und vor allem, wie zunehmend polarisiert das Land seitdem ist. Der Autor führt immer wieder Vergleiche mit ähnlichen politischen Phänomenen (u.a. Trump) ein, um die Methoden dieser selbstverliebten egomanischen Narzissten besser verständlich zu machen.

Denn diese sind weitestgehend ähnlich – Lüge und Hetze in sozialen Netzwerken, die die eigene Basis mobilisieren und radikalisieren sollen, den politischen Gegner verleumden, die Gesellschaft spalten, soziale Minderheiten und Frauen niedermachen und etablierte Medien ins Fadenkreuz nehmen. Diese Ingredenzien werden mit einem relativen Führerkult gemischt und ergeben ein gefährliches Gebräu – ob in Washington, London, Brasilia, Manila oder anderswo.

Dabei wird auch in aller Regel auf ähnliche Verbündete zurückgegriffen. Bolsonaro hat seinen Sieg zum großen Teil der Finanzierung durch rechte Unternehmer wie auch dem Support evangelikaler reaktionärer Kirchen zu verdanken. Letztere wurden und werden im traditionell katholischen Brasilien immer mächtiger. Sie suchen als fundamentalistische Kirchen erfolgreich das Bündnis mit Rechtsradikalen, unterwandern den Staat und versuchen Schlüsselpositionen in diesem zu besetzen. Ihre Propaganda zielt immer auf erkämpfte Frauenrechte wie Abtreibung und hetzt gegen LGBTIQ-Angehörige.

Die Evangelikalen sind auch in den armen Barrios präsent, wo früher emanzipatorische Nachbarschaftsorganisationen den Ton angaben. So ist es leider nicht überraschend, dass auch ein Teil der prekären Klassen bei der letzten Wahl Bolsonaro die Stimme gegeben hat. Eher landesspezifisch ist die Unterstützung von Bolsonaro durch weite Teile des Militärapparates. Der Präsident lobt die brutale Militärdiktatur von 1964-85 und verspottet im gleichen Atemzug vom Militär gefolterte Politiker*innen der Linken.

Fehler der Linken?

Franzen weist auch auf die Fehler der PT (linke Arbeiterpartei) hin, die von 2002-2018 erst mit dem charismatischen Lula, dann mit der Ex-Guerillera Dilma Rousseff an der Regierung war. Die PT versuchte mit vielen Programmen eine Art Umverteilung von oben nach unten vorzunehmen. Anhebung von Mindestlöhnen, mehr Rechte für Hausangestellte etc. wurden durchgesetzt. Doch die PT-Politik war relativ industriefreundlich oder gehorchte eher früheren marxistischen Glaubenssätzen: dem kapitalistischen Wachstumsfetisch wurde das meiste untergeordnet. Umstrittene Großprojekte und das auch unter der PT staatlich hofierte Agrobusiness zerstörten die Natur, Bagger rollten immer häufiger durch indigene Gebiete, in den Städten wurden ganze Armenviertel plattgemacht. Die von vielen erhoffte Landreform blieb aus. Der Kontakt zur Basis wurde dünner und dünner. Die, die vorher wenig hatten, profitierten von den Sozialprogrammen der PT, der Hunger konnte so gut wie beseitigt werden. Wer aber nichts hatte, fand auch unter der PT keinen Weg aus der Armut. So wandten sich viele Linke von der PT ab. Franzen beschreibt auch diese Fehler aus einer klaren linken und solidarischen Perspektive und weist so auch auf eigene linke Versäumnisse im Kampf gegen rechts hin.

Bolsonaro leugnet den Klimawandel. Die Abholzung im Amazonas einhergehend mit der Vertreibung indigener Gruppen hat leider atemberaubende Dimensionen erreicht. Er hetzte nicht nur im Wahlkampf sondern auch jetzt als Präsident gegen ihm missliebige Personen und gibt sie somit im wahrsten Sinne des Wortes zum Abschuss frei. In einem so gewalttätigen Land wie Brasilien, wo allein durch die Polizei im Jahr ca. 5.000 Menschen getötet werden, wo rechte Todesschwadronen Oppositionspolitiker*innen wie Marielle Franco ermordet, wo es automatische Waffen an jeder dritten Ecke zu kaufen gibt, ist ein Menschenleben nicht viel wert. Oppositionelle – auch gewählte Politiker*innen -, die von Bolsonaro persönlich angegriffen werden überlegen es sich daher gut, ob sie im Land bleiben oder ins Exil gehen.

In diesem Herbst stehen wieder Präsidentschaftswahlen an, Bolsonaro droht wie Trump, eine Wahlniederlage nicht zu akzeptieren. Lula tritt erneut für die PT an und hat gute Chancen zu gewinnen. Die Gefahr eines Militärputsches ist real und wird von Bolsonaro noch befeuert.

Wer die Methoden des weltweiten extremen Rechtspopulismus und die brasilianische Variante dazu inklusive Geschichte und Gegenwart dieses Landes verstehen möchte, kommt um das Buch von Niklas Franzen nicht herum.

Niklas Franzen:Brasilien über alles. Bolsonaro und die rechte Revolte„,  Mai 2022, Assoziation A, 208 Seiten Paperback, 18 Euro

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